Von Konrad Lischka
Mit Hilfe eines einfachen Briefes hat ein deutsches Unternehmen eine auf Deutschland ausgerichtete Porno-Seite abschalten lassen. Den deutschen Jugendschützern war das nicht gelungen: Die Seite ist seit neun Monaten indiziert - und war die ganze Zeit über problemlos zu erreichen.
Vor ein paar Wochen lief es noch ganz gut für die Porno-Seite Timtube, die unter mehreren Adressen im Web zu erreichen war: Laut den Datenverkehrsanalysten von Alexa war das Angebot auf Platz 392 der in Deutschland am häufigsten aufgerufenen Web-Seiten. Und das, obwohl die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjM) bereits im vorigen Sommer zwei Adressen des Anbieters indiziert hatte.
Sexyfilms: Das deutsche Porno-Portal kämpft gegen Konkurrenz, die sich nicht um deutsche Gesetze kümmert
Der Fall ist komplex, aber eine genaue Analyse lohnt sich, weil der Sachverhalt die Absurdität und Machtlosigkeit der deutschen Jugendschutz-Bemühungen im Web veranschaulicht.
Indizierung ohne Folgen
Die BPjM bewertet das Angebot von Timtube in der SPIEGEL ONLINE vorliegenden Entscheidung vom 28. Juni 2007 als "schwer jugendgefährdend". Die Darstellungen seien pornografisch, das Internetangebot vermittele "die Verabsolutierung sexuellen Lustgewinns, die Reduzierung auf eine apersonale Sexualität sowie die Degradierung des Menschen zum bloßen auswechselbaren Objekt". Eine Altersprüfung gab es bei dem Dienst nicht. Der Inhalt sei offensichtlich geeignet, "Kinder und Jugendliche sozialethisch zu desorientieren".
Der angebliche Betreiber der Seite, die Tim Tube Ltd., angeblich auf den Virgin Islands ansässig, reagierte nicht auf eine Anfrage der BPjM und auch nicht auf die Indizierung. Warum auch? Die Indizierung beeinträchtigte die Erreichbarkeit der Seite überhaupt nicht.
Wer seine Adresse verschleiert, hat wenig zu befürchten
Nun könnte man zweifeln, ob der Betreiber von Timtube tatsächlich im Ausland sitzt. Die BPjM nennt den Dienst "deutschsprachig", die Domain-Namen wurden bei deutschen Registraren angemeldet, von jemandem mit dem merkwürdigen Namen "Hostmaster Of the Day" und der Telefonnummer "+49 000 0000". Viele Indizien, aber kein Ansatzpunkt für die deutschen Jugendschützer, weiter aktiv zu werden.
Wer aber so dumm ist, einen derartigen Dienst unter einer echten deutschen Adresse zu betreiben, dem verlangt der deutsche Gesetzgeber aufwendige und sehr teure Altersprüfsysteme ab, dem drohen bei zu laxen Kontrollen sogar Haftstrafen. Die Kirchberg Logistik GmbH ist einer dieser Betreiber, die deutschen Jugendschutz-Standards folgen: Die niedersächsische Firma betreibt ein Online-Filmportal. Wer hier Pornos auf seinen PC laden, im Browser streamen, als DVD mieten oder kaufen will, muss vorher per Brief-Pin oder Postident-Verfahren umständlich nachweisen, dass er volljährig ist. Aber wer macht das schon angesichts deutschsprachiger, kosten- und kontrollfreier Konkurrenz wie Timtube?
Deutsche Behören neun Monate lang tatenlos
Kirchberg Logistik kämpft – natürlich aus eigenen kommerziellen Interessen - gegen kontrollfreie Web-Konkurrenz wie Timtube. Und absurderweise ist die mittelständische Firma dabei erfolgreicher als deutsche Jugendschützer.
Was die deutschen Behörden in den neun Monaten seit der Indizierung von Timtube nicht schafften, erreichte die Kirchberg Logistik nun mit einem Brief an die Augsburger Firma InterNetX, einem Profi-Internetdienstleister, der zur großen deutschen Internet-Holding United Internet gehört. Der Grund: Domains von Timtube waren zuletzt bei der US-Firma PSI-USA registriert – eine Tochter von InterNetX. In einer Selbstdarstellung führt PSI-USA als "President" den InterNetX-Geschäftsführer unter der Augsburger Firmenadresse auf.
In dem SPIEGEL ONLINE vorliegenden Schreiben vom 25. April verlangen die Anwälte der Kirchberg Logistik von InterNetX, die Registrierung der Domains "unverzüglich zu sperren, die Erreichbarkeit dieser Websites über Ihren Nameserver unverzüglich zu beseitigen, den Transfer der Domains zu sperren."
Das Schreiben argumentiert, der InterNetX-Geschäftsführer sei persönlich als Mitstörer für die Rechtsverstöße auf Timtube haftbar. Dabei geht es zum einen um das Wettbewerbsrecht. Hier argumentiert Kirchberg Logistik, Timtube handele durch den Verzicht auf Altersprüfungsmaßnahmen wettbewerbswidrig.
Vorwurf: "Förderung der Verbreitung von Pornografie"
Andererseits deutet Kirchberg auch an, dass der InterNetX-Geschäftsführer womöglich strafrechtliche Konsequenzen zu fürchten habe. Die Betreffzeile des Anwaltsschreibens ist eindeutig: "Förderung der Verbreitung pornografischer Schriften (Paragraf 184, 184c StGB) durch Registrierung der Domains".
Dieser Brief hat offenbar gewirkt. Die Timtube-Seiten sind derzeit nicht erreichbar. InterNetX-Geschäftsführer Thomas Mörz erklärt gegenüber SPIEGEL ONLINE: "Wir haben die Domain gesperrt und werden sie freigeben, sobald dort keine jugendgefährdenden Inhalte mehr zu finden sind. Für uns ist die Sache damit erledigt."
Das Unternehmen wird sich demnach nicht auf eine rechtliche Auseinandersetzung mit Kirchberg Logistik einlassen. Mörz: "Wir haben den Eindruck, dass hier versucht wird, uns zum Spielball der Interessen verschiedener Erotikanbieter zu machen - es kann nicht Aufgabe der Provider sein, Inhalte vorab zu prüfen. Wenn wir aber auf konkrete Rechtverstöße aufmerksam gemacht werden, müssen wir handeln."
Kein Jugendschutz im Web
Der Fall zeigt, dass das scharfe deutsche Jugendschutzrecht derzeit im Web nicht greift. Deutsche Erotikanbieter müssen teure Jugendschutzmaßnahmen umsetzen. Dieselben Inhalte sind bei ausländischen und scheinbar ausländischen Anbietern frei verfügbar. Die Folge: Je mehr Anbieter ins Ausland abwandern, desto weniger schützt das deutsche Jugendschutzrecht Minderjährige online, weil es kaum noch Unternehmen gibt, die den strengen deutschen Auflagen überhaupt noch unterworfen sind.
Diese De-facto-Aushöhlung des deutschen Jugendschutzrechts freut Kritiker der strengen deutschen Regeln. In Internetforen werden die ökonomisch motivierten Sperrversuche der Kirchberg Logistik "Zensur" genannt und kritisiert. Über das deutsche Jugendschutzrecht wird kaum diskutiert - offenbar, weil es online einfach kaum spürbar ist.
Kirchberg Logistik hält sich an deutsches Recht und versucht juristisch, Wettbewerber auch dazu zu bringen. Der Mainzer Unternehmer Tobias Huch, der Jugendschutzsysteme anbietet, kritisiert zum Beispiel, es gehe Kirchberg Logistik "definitiv nicht um Jugendschutz". Das Unternehmen wolle "Wirtschaftsinteressen durchzusetzen".
Nur: Dass deutsche Behörden derzeit offenbar gegen Angebote wie Youporn und Timtube nicht ankommen, ersetzt nicht die Debatte über die Durchsetzung strenger Jugendschutzregeln.
Nachtrag: Das Angebot von Timtube ist nach Veröffentlichung dieses Artikels wieder online gegangen - unter einer der von dem deutschen Registrar eigentlich gesperrten Adresse. InterNetX-Geschäftsführer Thomas Mörz erklärt SPIEGEL ONLINE: "Unter dieser Adresse waren vom 30. April bis heute vormittag nur Forenbeiträge zu finden, kein rechtswidriges Material. Wir haben daraufhin dem Transfer stattgegeben. So eine Domain können wir ja nicht in Beschlag nehmen." Inzwischen liegt die Domain beim US-Unternehmen Network Solutions.
© SPIEGEL ONLINE 2008
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbH